Aus der Opposition zu einer geplanten Buchpublikation des ehemaligen Berliner Senatsbaudirektors Hans Stimmann hat sich eine offene Gruppe von hier ansässigen Architekten gebildet, die sich um die Zukunft der Stadt, ihrer Architektur und ihrer sozialen Nutzung Gedanken machen.
Quelle: BauNetz
Dazu gehören BARarchitekten, brandlhuber+ , deadline > office for architectural services, ebers architekten, FAT KOEHL Architekten, Kaden Klingbeil Architekten und ludloff+ludloff Architekten. Als Berater fungiert der Künstler Nikolai von Rosen, der als Dozent für Architektur und Kunst an der ETH Zürich lehrt.
Die Architekten hatten in zwei Offenen Briefen Stellung bezogen zu einem von Stimmann geplanten Buch „Stadthäuser“, in dem er 50 Projekte als Beispiele der privat genutzten und bebauten Parzelle in der Innenstadt vorstellen will – unter anderem auch diejenigen der oben erwähnten Architekten.
In der Verlagsankündigung heißt es: „Nach dem Rückzug des Staats aus den sozialen Wohnungsbauprogrammen und einer Renaissance der Innenstädte erhalten privat finanzierte innerstädtische Wohnprojekte eine neue Aufmerksamkeit. In diesem Band der Reihe Handbuch und Planungshilfe resümiert Autor Hans Stimmann, über mehr als ein Jahrzehnt Senatsbaudirektor in Berlin und Wegbereiter des neuen Stadthausbooms, über politische Strategien, theoretische Konzepte und baugeschichtliche Wurzeln des Stadthauses in Berlin.“
Die erwähnten Architekten sehen sich aber gar nicht als Vertreter des Bautyps „Bürgerhaus auf der privaten Parzelle“. Ihre Projekte seien vielmehr aus ganz unterschiedlichen Bedingungen heraus entstanden – sie stehen teilweise auf Resten von Bauruinen oder auf als unbebaubar gehandelten Grundstücken, sie befinden sich auch nicht alle in Privateigentum, sondern werden beispielsweise in Erbbaupacht genutzt. Zudem interessieren sie sich viel mehr für einen Wohnungsbau und eine Stadtplanung, die auf Bottom-Up-Strategien basieren und damit auch finanziell schwächere Bevölkerungsgruppen integrieren, wie es durch Mischfinanzierung, Genossenschaften, Erbpacht oder Pensionsfonds möglich wäre.
Weiteren Handlungsbedarf sehen sie im Bereich der Architekturausbildung und der Schaffung eines Forums, in dem solche alternativen Modelle diskutiert werden. Zudem wünschen sie sich eine größere Reflexion über die in Berlin reichlich vorhandenen Lücken und Freiräume und deren architektonischem wie sozialem Potenzial.
In ihrem „Zweiten Offenen Brief“ an den Verleger von DOM-Publishers hatten die Architekten wie folgt Stellung bezogen:
„Als Unterzeichner dieses zweiten offenen Briefs möchten wir uns einführend bei Ihnen als Verleger bedanken, dass sie uns zur Teilnahme am Buchprojekt ‚Stadthäuser‘, herausgegeben von Hans Stimmann (Erscheinungsdatum Frühjahr 2011) eingeladen haben. Wir werden dieser Einladung nicht nachkommen.
‚Unsere Projekte basieren auf Eigeninitiative und stehen in keinem inhaltlichen Zusammenhang mit der damaligen Stadtpolitik‘, hatten wir Sie in unserem ersten Offenen Brief wissen lassen und mit der Frage verbunden: ‚Warum soll nachträglich unter Vereinnahmung hierzu kritischer Architektinnen und Architekten diese Position fortgeschrieben und die gerade entstandenen vielfältigen neuen Positionen darin verallgemeinert werden?‘
BARarchitekten: Die stadtpolitische Diskussion in Berlin in den neunziger Jahren und darüber hinaus war nicht der fruchtbare Boden für unsere Arbeit. Daher sehen wir uns auch jetzt in keinen Zusammenhang zu der damaligen Baupolitik, wie es in dem Buch dargestellt wird. Im Gegenteil: Wir haben eine offene Diskussion über Themen der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit sowie den politischen Mut, Experimente zu wagen und neuen Ansätzen und Akteuren Raum zu geben, in dieser Zeit stets vermisst. Wir teilen nicht die pauschale Kritik an den Architekten der Moderne, sondern nehmen mit unserer eigenen Arbeit Bezug auf diese und sehen sie als eine der wichtigen Inspirationsquellen unserer Arbeit.
brandluber+: Wir verstehen Architektur als das Ordnen von sozialen Beziehungen durch Gebautes. Wer ‚Stadthäuser‘ – in der englischen Ausgabe ‚Townhouses‘ – gleich setzt mit der ‚Wiedereinführung privaten Grund- und Hauseigentums‘, versteht dies auch so, allerdings mit dem Ziel sozialer Segregation, weil all jene exkludiert werden, die sich nicht mit Eigentumsrechten munitionieren können oder wollen. Wenn für dieses Ziel von politischen und administrativen Treuhändern eigens kleinparzellierte, zentrale Lagen für privilegierte ‚neue Stadtbürger‘ zur Verfügung gestellt werden, wird hier Stadt als Gemeinwesen bewusst abgeschrieben.
deadline: Unsere Architekturpraxis ist daraus entstanden, dass wir im Berlin um die Jahrtausendwende gezwungen waren, eigene neue Wege zu suchen, da unser Architekturansatz zu dieser Zeit in Berlin aktiv verhindert wurde. Wir glauben, dass eine Stadt von der Vielfalt seiner Akteure lebt. Wir haben interessante neue Wege gefunden, um kompromisslos unsere Vorstellung von Architektur zu realisieren. Idealerweise sollte eine Stadt die Vielfalt solcher außergewöhnlicher Leistungen unterstützen.
ebers architekten: Stadt ist dort, wo die Dichte von Innen- und Außenräumen zusammen Orte ergibt, in denen Handlung und Bedeutung zur Form wird. Jedes Haus ist einzigartig und Kommentar seines Kontextes. Architektur muss Aneignung ermöglichen und die Räume der Gegenwart für die Zukunft abbilden.‘
FAT KOEHL: Urbanität ist für uns die Gleichzeitigkeit von unterschiedlichen Modellen und Programmen innerhalb eines zu verhandelnden Regelraumes. Diese Form der Verhandlung fordert von allen Beteiligten neue Konzepte einer differenzierten und zieloffenen Stadtentwicklung. In unserer Architektur verhandeln wir den Regelraum durch das Bauen mit mehreren Bauherren. Damit schließen wir die Verantwortung aller Beteiligten für die Entwicklung der Architektur und die der Stadt ein.
Kaden Klingbeil: Wir erkunden das Substantielle von Materialien, konstruieren, experimentieren – in unserem speziellen Fall insbesondere mit dem nachwachsenden Material Holz – und stellen es in einen kontextuellen Bezug zu kulturellen, sozialen, technischen und ökonomischen Feldern. Wir interpretieren mit unseren Projekten soziale Räume im steinernen Blockrandberlin als gemeinschaftlich organisierten Zwischenraum.
ludloff+ludloff: Unsere Architektur will einen Diskurs anstoßen, der Antworten zu aktuellen und zukünftigen Lebensrealitäten geben kann. Durch die bewusste Interpretation tradierter Bildwelten und aktueller Medienerfahrungen erschließen wir neue Räume und eine veränderte Sicht auf die Stadt. Dabei verstehen wir unsere Arbeiten keinesfalls als analoges Gegengift zu einer zunehmend beschleunigten Welt, vielmehr suchen wir nach sinnlichen Verbindungen, die digitale und analoge Wahrnehmung zusammenführen.“
Kontakt für Interessierte an der Arbeit der offenen Gruppe: vonrosen@arch.ethz.ch
Zur geplanten Veröffentlichung „Stadthäuser“ auf www.dom-publishers.com
Der erste Offene Brief sowie die Antwort des Verlegers als PDF-Dokument aus der BauNetz-Meldung vom 11.11.2010.