Berlin leuchtet. Die Neonreklame der „Goldenen Zwanziger“ verheißt mit einer Lichtarchitektur Aufbruch aus einer dunklen Zeit in die Moderne. Haus Vaterland oder Europa Palast, Kino Lichtburg oder Titania Palast – „Weltstadt im Licht“
Mit dem Zweiten Weltkrieg wird es wieder lange dunkel, nach dessen Ende soll Reklame im Westen — im Osten sind es eher Belehrungen und Propaganda-Losungen auf Bannern — den Krieg und die Entbehrungen vergessen machen. Schnell werden der Mercedes-Stern auf dem Europa Center oder das Café Kranzler zu neuen Wahrzeichen der Stadt und verkünden den Aufbruch in die Marktwirtschaft – wir sind wieder wer.
Wir gewöhnen uns mit den Jahren an Reklame in U-Bahnhöfen, an Brandwänden, vor Brachen und Baulücken in der Stadt. Spektakulär ist die Avnet-Bildwand am Ku’damm Eck in den späten 80ern, visionär wird das Thema Medienfassade 1982 im Film Blade Runner inszeniert und von Martin Pawley in Nikolaus Kuhnerts und Philipp Oswalds Editorial der ARCH+
, Ausgabe 108 „Fassaden“ 1991 aufgearbeitet: „In den letzten 15 Jahren hat sich die Informationstechnologie wie ein Virus im Körper der Architektur ausgebreitet. Unerkannt von den meisten Architekten und unbeachtet von den meisten Architekturhistorikern und -kritikern hat sie den Charakter der Architektur tiefgreifender verändert als irgendeine andere technische Neuerung seit Beginn der Moderne.“ Sie hat, so Pawleys Resumée, zu einer „Typologie des Informationsgehäuses mit einem vertikal geschichteten, sandwichartigen System von alternierenden Service- und Nutzungsbereichen geführt. Im Innern werden diese Gebäude relativ flexibel sein. Ihre Aufteilung und Anordnung wird den räumlichen und klimatischen Anforderungen der Nutzer folgen. Während sie im Äußeren durch eine selbsttragende Haut umschlossen sein werden, die eher eintönig, gleichzeitig jedoch informationell ’verziert’ sein wird.“
Diese Vision ist bislang, zumindest in Berlin, nicht Realität geworden. Einzig Jean Nouvels Entwurf von 1990 für die „Galeries Lafayette“ in der Friedrichstraße unternahm den Versuch, Reklame und Architektur zu einer Einheit werden zu lassen. In der Umsetzung ist davon leider nichts zu erkennen. 2001 fand mit den „Blinkenlights“ am Haus des Lehrers die „Medienfassade“ eine spielerische Form und für Berlin vorerst ihren Abschluss.
1998 verstand es der Unternehmer Hans Wall mit der historisierenden Architektursprache des Josef Paul Kleihues den Stadtraum mit den sogenannten Stadtmöbeln zu kommerzialisieren. Es ist diesem Vorhaben zu Gute zu halten, dass mit einem Willen zur Gestaltung die kapitalistische Absicht immerhin verziert und mit einer Funktion versehen wurde.
Inzwischen unerträglich ist die völlige Kapitulation der Stadt vor dem großflächigen, sogenannten „visuellen Marketing“. Sündenfall war die „Sanierung“ des Brandenburger Tors: „Mit dem Versprechen, das Wahrzeichen der Stadt gratis aufzupolieren, war es einer privaten Stiftung im vergangenen Herbst gelungen, dem CDU/SPD-Senat die eigentlich nicht notwendige Renovierung und den „unmittelbaren Besitz“ am Tor bis zum Februar 2002 abzuhandeln. Die „Stiftung Denkmalschutz Berlin“ darf seitdem Millionensummen für Werbung auf der Bau-Plane des Tors als „Sponsoring“ abkassieren“, schreibt z.B. der SPIEGEL in einem Beitrag 2001.
Das Beispiel macht Schule, großflächige Werbung wird heute von profitgetriebenen „Media Groups“ ohne Interesse an der Stadt und deren Erscheinungsbild an lukrativen Standorten platziert. Es werden an viel befahrenen Straßenecken Bauarbeiten fingiert um Gerüste aufzustellen. Die Gerüste tragen großflächige, angestrahlte Werbeplanen, aber Bauarbeiter sucht man auf ihnen vergeblich. Die Stadt verkommt zur Werbefläche – Amerikanische Verhältnisse.
Das Versprechen der Moderne ist nicht eingelöst worden oder bestenfalls nur aus kapitalistischer Sicht. Es gab noch nie so viel und aufdringlich „visuelle Kommunikation“ wie heute.
Wo Lidl oder Aldi & Co drin ist, darf Lidl oder Aldi draufstehen und auch leuchten. Vor dem Hintergrund der Energie- und Klimakrise kann darüber gestritten werden, ob „Lichtwerbung“ in dieser Form heute noch angemessen und wie „Lichtsmog“ zu bewerten ist. Aber hinter den billig überklebten Fenstern der Gründerzeitfassaden wohnen nicht Samsung, Apple oder Playstation, sondern Sie und ich. Die Planen verdunkeln den Tag und lassen uns nachts wegen der grellen Strahler nicht schlafen.
Deshalb fordern wir den Berliner Senat auf, die Bauordnung so zu ändern, dass es für Hausbesitzer und Media Groups nicht mehr lukrativ ist, eine Baustelle auf Kosten der Stadt und seiner Bewohner zu fingieren oder künstlich zu verlängern. Schluss mit der maß- und geschmacklosen Kommerzialisierung des Berliner Stadtraums.
Im September 2015 hatten wir in unserer Gesprächsreihe StadtWertSchätzen dazu bereits eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Zwischenräume gestalten“ organisiert. Inzwischen hat das Thema in der Öffentlichkeit Fahrt aufgenommen und ist zunehmend in der Presse wie z.B. Tagesspiegel hier oder hier und rbb24. Beim Berliner Senat setzt sich das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf für eine Novellierung der Bauordnung ein, um „eine strengere Genehmigungspraxis für Werbeanlagen sowie eine Anhebung der Bußgelder“ zu erreichen. So steht es in einem Antrag der Grünen-Fraktion, der im Stadtentwicklungsausschuss der BVV mehrheitlich angenommen wurde.
Werden auch Sie jetzt aktiv und sprechen Ihre/n Abgeordnete/n im Bezirk oder im Senat an und werben in Ihrem Umfeld um Unterstützung für eine Novellierung der Bauordnung. Einen Textvorschlag dazu finden Sie hier.